Antrittsrede eines Industriedesigners
Magdeburg / 1. April 2009
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Studentinnen und Studenten,
Ich liebe die Idee.
Eine Idee wird erdacht, ausgesprochen, skizziert zum Entwurf, zum Konzept, wird zum Modell dann in (meinem Fall) zur Form. Wenn die Form seriell reproduzierbar ist, dann heißt die Idee dann Produkt. Da die Idee am Beginn dieser Kette steht, bin ich kein Produktentwickler, sondern ein Ideenentwickler. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass im Design eine mittelmäßige Idee bei guter Ausführung besser funktioniert, als eine gute Idee, die mittelmäßig umgesetzt wird. Auch stelle ich fest, dass das Übernehmen oder Aufwärmen alter Ideen meistens weniger Widerstand beschert sowie einen schnelleren Erfolg bei geringerem Aufwand. Bekannte oder geklaute Ideen haben üblicherweise eine bessere Performance und werden routinierter vorgetragen. Die Kosten-Nutzen-Rechnung scheint also gegen meine Liebe zur originalen Ideenentwicklung zu sprechen. Warum liebe ich sie dennoch?
Wenn ich mich in diesem Raum umsehe, dann spüre und weiß ich, dass ich mich hier und jetzt auf der Grundlage vieler Ideen bewege. Diese Schule als Institution und als Ort und als Gebäude wurde erfunden. Alle Produkte in diesem Raum sind die Konsequenz von Ideen. Jeder Vorgang des Eintretens und des Sich-Bewegens in diesem Raum wird durch Ideen der Vergangenheit moderiert. Sogar mein Selbstverständnis als Vortragender basiert auf Ideen, vielen Ideen von Anderen und einigen von mir. Indem ich dies feststelle, entsteht der Wunsch in mir, dass auch meine Ideen Teil der Welt werden. Das Versprechen lautet dann, dass ich mich in dieser Welt wiederfinde. In diesem Zusammenhang helfen mir weder die praktischerweise geklauten noch die aufgewärmten alten Ideen. Jede Bestrebung, das vermeintlich realitätsferne ideenreiche Denken durch vermeintlich realitätsnahes (und ideenarmes?) Denken zu ersetzen oder gegeneinander auszuspielen kann ich weder in der Theorie noch in der Praxis nachvollziehen, denn Idee und Realität brauchen einander.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine Idee im Design immer in der Lage ist, meine Sicht auf die Welt über das „Haben-Wollen“ hinaus zu verändern, aber ich bin überzeugt, dass sich eine Sicht auf die Welt in Produkten manifestieren kann. Hier empfinde ich die Rolle des Designs im Spannungsfeld von Weltentwurf und dem Verstärker von Weltanschauungen. Raymund Loewy gab der Idee der Geschwindigkeit eine Form, doch er hat die Geschwindigkeit nicht erfunden. Wenn ich die Umgebung für einen Menschen entwerfe (seinen Arbeitsplatz oder sein zu Haus), so entwerfe ich sehr wohl ein Stück seiner Welt. Die Einstellung des Designs gegenüber Herausforderungen ist dabei hemdsärmelig und bezaubernd menschlich geblieben. Auf jede noch so komplexe Frage reagiere ich als Designer naturgemäß mit Nachdenken, einem Blatt Papier, einem Stift und einer bildnerischen Antwort. Diese Einstellung gegenüber Herausforderungen scheint eine Attraktivität auf andere Disziplinen auszuüben. Anders kann ich es mir nicht erklären, das z.B. unruhige Biologen jetzt Bioniker sind, die die Erforschung der Natur erweitern, um Produkte entstehen zu lassen, die mich – nichts weniger als – verzaubern.
Der Begriff: „Idee“ hat viele Wandlungen durchlaufen. Unterschiedliche Definitionen beschreiben sie als etwas „ewig Unverrückbares“ oder die „Vorstellung von einer Sache“ bis hin zum „Einfall“. Ich habe viele Beschreibungen dieses Wortes gefunden und ich mag sie alle. Es ist mir egal, welche Definition Sie bevorzugen, denn alle Bedeutungen des Wortes zusammen beschreiben nicht weniger als die Bandbreite und die Facetten meines Vorstellungsvermögens ergo: meines Handlungsvermögens.
Ideen sind, wie alles was ich erfinde, nicht wertfrei. Daher bevorzuge ich Ideen, die mich nicht zum Sklaven oder zum Bediener von Produkten oder Prozessen machen, sondern zum Benutzer und Herrn. Ich mag Ideen, die nicht an meine Ängste appellieren, sondern die mich frei atmen lassen. Ideen, die meinem Körper Tribut zollen und meinem Geist. Ich mag Ideen, die mich nicht zum einsamen Stubenhocker machen, sondern die mir Bewegung in jeder Hinsicht verschaffen und meine Sicht auf die Welt erweitern. Ich mag Ideen, die sich nicht auf Appelle an meine Eitelkeit beschränken, keine gepimpten Fetische, sondern Ideen, die sinnvolle und lustvolle Produkte entstehen lassen.
Üblicherweise geschieht die Umsetzung von Ideen vor dem Hintergrund eines fest fixierten Berufsbildes. Diesen festen Hintergrund habe ich als Designer nicht. Heute (fast auf den Tag genau 90 Jahre nach der Gründung des Bauhauses durch Walter Gropius) kann ich als Designer sowohl für das Styling vorhandener Lösungen verantwortlich sein als auch der fordernde Jäger von patentierfähigen Innovationen. Im Gegensatz zur offenbar schwierigen Beschreibung meines Berufsfeldes ist es aber einfach, das Spielfeld meiner Arbeit zu beschreiben. Ich bewege mich als Industriedesigner im Spannungsfeld einer Triangel deren Ecken: Kultur, Kommerz und Konstruktion heißen. Mit Kultur meine ich hier den menschlichen Umgang mit der Welt in all seinen Facetten. Ich kann gegenwärtige Kultur respektieren oder ändern, doch niemals ignorieren. Die Kommerzialisierung bestimmt die Verwertung meiner Ideen und die Konstruktion ist der Tatsache geschuldet, dass meine Ergebnisse 3dimensional, physisch vorhanden und seriell sind.
Diese 3 „K“s sind „nur“ die Begrenzung des Spielfeldes und kein Wert an sich. Eine gelungene Konstruktion weist den guten Konstrukteur aus, doch nicht immer das gelungene Produkt. Nichtsdestotrotz muß ich mich diesen Gegebenheiten stellen, um eine Idee in ein funktionierendes Produkt zu verwandeln. Diesen Parkour schafft am besten eine Idee, die über eine gewisse Variantenbildung erhaben ist, denn Produkte zu entwickeln bedeutet meiner Erfahrung nach, viele – unterschiedlich reale – Varianten einer Idee zu entwickeln.
Das Ergebnis meiner Arbeit ist Konzept und Form. Form ist Funktion. Jede Form hat eine konstruktive Funktion oder eine kulturelle oder eine kommerzielle. Wenn ich das übersehen sollte, so kann ich nur auf das Glück hoffen, das die Funktionen meiner Formen mir nicht um die Ohren fliegen, denn Design erklärt keine Funktionen – Design zeigt sie. Dieses Zeigen betrifft nicht nur das Auge des Betrachters, sondern immer auch seinen Körper. Durch Produktdesign gebe ich dem Auge ein Versprechen, dass der Körper einlösen will. Das bedeutet, dass meine Ergebnisse eine stumme, doch nicht sprachlose Verbindung mit anderen eingehen. Dies verbindet meine Arbeit mit anderen nonverbalen Weltsprachen, wie der Musik, dem Tanz und auch dem Kochen.
Die Idee (im Sinne eines prinzipiellen Ansatzes) gibt mir die Möglichkeit, mich mit Anderen auszutauschen. Der interdisziplinäre Gedankenaustausch ist mir der wichtigste Schlüssel für zukunftsweisende Entwicklungen, wenn er auf dem passenden Niveau der Verallgemeinerung passiert. Ist dieser Austausch zu allgemein, so käme man womöglich überein, dass die Welt „gut“ oder „schlecht“ sei. Ist er zu speziell, verschrecke ich (oder verschrecken mich) andere durch Mikroprobleme inklusive Fachvokabular. Irgendwo dazwischen befindet sich der immer noch unterbewertete Bereich, Fachwissen projektorientiert und ergebnisorientiert zu verallgemeinern. In diesem Fall kann der gesunde Menschenverstand zur gemeinsamen Fremdsprache aller Beteiligten werden.
Dieses fachübergreifende Verständnis und das gute Konzept sind „die halbe Miete“ und ersparen allen Beteiligten eine überflüssige Bastelei. Natürlich können auch die Probleme eines schlechten Konzeptes konstruktiv gut gelöst werden. Aber ein schlechtes Konzept wird niemals zu einer guten Konstruktion führen, da ich Konzept und Konstruktion nicht teilen kann. Das gelungene konstruktive Zusammenbringen von unterschiedlichen Bauteilen ist nicht nötig, wenn das Konzept die Trennung ebenjener Bauteile überflüssig macht. So wirkt mittlerweile ein übergroßer Konstruktionsaufwand (nicht nur im Design) verdächtig und lässt in mir die Ahnung entstehen, dass die eleganteste und beste Konstruktion keine Konstruktion ist. Wenn ich mich als Designer nicht an der originären Konzeptionierung beteiligen darf oder will, so bleibt mir die Hoffnung, dass das vorhandene Konzept zufällig in meinem Sinne ist und meine gesamten Kompetenzen zufällig passen. Erfahrungsgemäß ist dies nicht der Fall. Üblicher ist, dass ein übergroßer Kommunikationsaufwand entsteht, der lediglich dazu führt, die Ecken eines vorhandenen Konzeptes etwas rundlicher zu machen. Bei Konzepten, die seit längerem schon rundlich sind, werden die Ecken dann kantiger, was die Tat aber nicht spannender macht.
In interdisziplinären Zusammenarbeiten muss ich als Designer nicht die Arbeit von anderen machen. Ich muss kein Kaufmann sein und auch kein Ingenieur. Ich muss aber dringend die Arbeit des Kaufmanns und des Ingenieurs verstehen, denn keines meiner Produkte wäre ohne das phantasievolle Zutun des Ingenieurs auf der Welt. Hier kann es peinlicherweise passieren, dass ich als Designer manchmal ein schlechter Ingenieur bin, aber ein Ingenieur ist das manchmal auch. Und es sind gerade die guten Entwicklungsingenieure, die sich die Souveränität zum Missgeschick bewahren. All diese Peinlichkeiten sind aber klein gegenüber dem Stolz eines gemeinsamen produktgewordenen Erfolges von Ingenieur und Designer.
Dieser Stolz ist ernst gemeint. Wenn ich keine Produkte entwickle, auf die ich stolz sein kann, sondern Produktentwicklung lehre, so muss die Quelle meines Stolzes an anderer Stelle entspringen. Hiermit komme ich nun zu Ihnen, liebe Studentinnen, liebe Studenten:
Mit der steigenden Standardisierung von industriellen Prozessen wird die Schule gegenüber der Industrie als Ort der Ideenentwicklung an Wert gewinnen. Standardisierung ist das Gegenteil von Ideenentwicklung und allenfalls die notwendige Provokation für den Ungeduldigen. Das Wesen einer Idee, ihre Flüchtigkeit und ihr selten kommerzieller Startcharakter brauchen ein Umfeld, wie es eine Schule darstellen kann und soll. So sehe ich Sie auch als Stuntmänner und -frauen, die sich trauen und in Gefahr begeben, stellvertretend für andere das Ungedachte zu denken, zu konzeptionieren und zu formen. In der Ideenentwicklung sehe ich einen Beweis für die Lebendigkeit eines Ortes und es ist diese Lebendigkeit, die ich immer suche. Immer gebe ich Signal an die, die an qualitativen Weiterentwicklungen interessiert sind. Quantitative Steigerungen überlasse ich als Industriedesigner den Maschinen, die meine Produkte herstellen oder den Medien, die die Bilder meiner Ergebnisse vervielfältigen.
Natürlich ist es Ihre Aufgabe als Studierende, das Handwerkszeug des Designers zu lernen. In der freien Wirtschaft werden Sie nach Ihren Fähigkeiten und Ihren Fertigkeiten beurteilt. Ihre Aufgabe ist aber auch und noch viel mehr, eine Idee zu entwickeln wie ich in Zukunft leben werde, wie ich kommuniziere, wie ich esse, wie ich lerne, wie ich arbeite, mich erhole, wie ich gesund werde oder wie ich mich fortbewege. Sie entscheiden, was in Zukunft Wert haben wird. Sie entscheiden, was Sinn machen wird.
Dabei haben Sie bitte im Blick, dass ich nicht nur Ihr Kunde oder der Verbraucher Ihrer Produkte bin, sondern ein kompletter Mensch. Dieser Mensch hat einen Kopf und einen Körper, ist aufgeklärt und verführbar, mit Ängsten und Mut beseelt, verstockt und entwicklungsfähig, rational und romantisch, egoistisch und hoffnungslos abhängig von anderen. Entwickeln Sie Ideen für einen Menschen, dessen Ziel das erlebte und gelebte Leben mit Anderen ist.
Als Designerinnen und Designer brauchen Sie mir Ihre Ideen nicht zu erklären. Zeigen Sie sie mir, denn:
Ich liebe Ihre Ideen.